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Interview mit Katharina Rogenhofer

Den Schritt ins Politische wagen!

 

Katharina Rogenhofer, Sprecherin des Klimavolksbegehrens, ist überzeugt: Wenn die Klimabewegung es schafft, weiter Druck auf die Politik aufzubauen und aufrechtzuerhalten, wird die Klimawende schnell genug erfolgen können. Doch das liege jetzt an uns allen! Mehr darüber im folgenden Interview mit der Klimaaktivistin, das im Herbst 2021 geführt wurde.

Das Gespräch führten Karin Astelbauer-Unger, DIin Regina Hrbek, Leiterin der Abteilung Natur-, Umweltschutz und Hüttenmanagement der Naturfreunde Österreich, und DIin Irene Raffetseder, Bundesgeschäftsführerin der Naturfreundejugend.

 

 

 

Katharina, wie bist du auf die Idee gekommen, das Buch „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ zu schreiben?

Nach meinem ersten langen Ö1-Interview ist die Lektorin des Verlags auf mich zugekommen und hat gemeint, dass ich alles so gut erklären kann und darüber unbedingt ein Buch schreiben muss. Das war vor der Eintragungswoche der Unterstützungserklärungen für das Klimavolksbegehren. Deshalb habe ich zuerst gesagt, ich könne mir das nicht vorstellen; doch dann fiel die Entscheidung, das Buch gemeinsam mit Florian Schlederer zu schreiben, einem guten Freund, der auch in der Klimabewegung aktiv ist. Dann kam Corona. Und wir hatten auf einmal auch die Zeit dazu, da alle Veranstaltungen abgesagt wurden. Das Ziel war es, die Ereignisse der beiden vorangegangenen Jahre zusammenzufassen: Wie die Klimabewegung aufgestanden ist und drei Regierungen erlebt hat. Wir haben unter Schwarz-Blau begonnen, dann kam die Übergangsregierung, danach Türkis-Grün. Wir wollten zeigen, was in dieser Zeit passiert ist, was es jetzt braucht, was der Stand der Wissenschaft ist. Ein Fridays-for-Future-Aktivist meinte über das Buch: „Das ist jetzt endlich eine Zusammenfassung von allem, was wir wissen und was es braucht - das sollten alle gelesen haben.“ Das ist genau das, was wir erreichen wollten. Selbst wenn das Buch nicht ganz Österreich liest, ist es für sehr viele ein Einstieg in das Thema, sich damit auseinanderzusetzen und danach die Grundlagen zu haben, darüber zu diskutieren.

 

 

Österreich will 2040 klimaneutral sein, doch niemand weiß den Weg dahin!

 

Katharina, seit dem Entstehen der Fridays-for-Future-Bewegung und dem Klimavolksbegehren hat sich in Österreich einiges getan: Das Erneuerbaren-Ausbaugesetz (EAG) wurde beschlossen, die ökosoziale Steuerreform vorgestellt. Was bedeutet das für den Kampf gegen den Klimawandel?

Allgemein kann man sagen, wir haben kleine Schritte gemacht. Vor allem dank der Fridays-for-Future-Bewegung kommt heute niemand mehr am Thema Klimaschutz vorbei. Das EAG war schon jahrelang überfällig. Damit haben wir endlich ein Gesetz, das beim Ausbau erneuerbarer Energiequellen hilft. Die verkündete Steuerreform wird mit dem Einstiegspreis von 30 Euro pro Tonne CO2 ab Juli 2022 jedoch wenig Lenkung in Richtung klimafreundliches Verhalten bringen. Der ökologische Lenkungseffekt startet laut Wissenschaft erst bei ca. 50 Euro pro Tonne Einstiegspreis. 2025 sollte der Preis je Tonne CO2 bei 100 Euro und nicht wie von der österreichischen Regierung vorgesehen bei 55 Euro liegen.

Ich befürchte, dass die Steuerreform in Zukunft als Ausrede benutzt werden wird, andere Gesetze, die für die Klimawende nötig wären, langsamer anzugehen oder gar nicht zu beschließen. Da es Österreich nicht schaffen wird, die Emissionen mit der CO2-Steuer zu reduzieren, braucht es jetzt vor allem ein Klimaschutzgesetz mit einem verbindlichen Reduktionspfad. Wenn es gut geht, wird das neue Klimaschutzgesetz im Frühjahr 2022 vorliegen. Dann hat Österreich mehr als ein Jahr lang kein Klimaschutzgesetz gehabt. Wir leben im Zeitalter der Klimakrise, sollten so schnell wie möglich dagegen vorgehen und haben keine nationalen Klimaziele!

Neben dem Klimaschutzgesetz fehlt auch ein Erneuerbaren-Wärmegesetz. In Österreich gibt es 600.000 Öl- und 900.000 Gasheizungen, die ausgetauscht werden müssen. Derzeit ist Österreich sehr weit davon entfernt, seine Emissionen langfristig zu reduzieren. Es will 2040 klimaneutral sein, doch niemand weiß noch den Weg dahin.

 

Was macht ihr jetzt vom Klimavolksbegehren und von Fridays von Future, um eine Änderung des CO2-Preises zu bewirken?

Was wir unmittelbar tun können, ist, auf die Straße zu gehen, aktiv zu werden, Präsenz zu zeigen. Ich habe in den vergangenen Wochen viele Interviews gegeben, viele NGOs haben sich angeschlossen. In der Öffentlichkeit wurde wahrgenommen, dass Unzufriedenheit besteht. Es gibt drei Möglichkeiten nachzuschärfen: Erstens orientiert sich Österreich sehr am deutschen Preis. Die Deutschen diskutieren, ob sie den CO2-Preis erhöhen. Da gäbe es die Möglichkeit zu sagen: Wenn Deutschland den Preis erhöht, ziehen wir auch den Preis an. Für eine Kanzlerpartei, die Wirtschaftskompetenz in den Vordergrund stellt, ist es traurig, dass sie nicht einmal den Preis richtig hinkriegt. Der zweite, fast wichtigere Bereich wäre, auch andere marktverzerrende Mechanismen wie klimaschädliche Subventionen abzuschaffen. Da wurde in der ökosozialen Steuerreform gar nichts angegangen: Diesel- und Dienstwagenprivileg wurden nicht abgeschafft. Auch die Pendlerpauschale könnte man ökologisieren, gerade weil die Steuerreform einen regionalen Ökobonus vorsieht. Warum fördert man doppelt? Mit einem regionalen Ökobonus unterstützt man diejenigen, die nicht an den öffentlichen Verkehr angeschlossen sind, und mit der höheren Pendlerpauschale tut man das auch. Hier Reformen einzufordern ist jetzt die Aufgabe der Klimabewegung.

Wir vom Klimavolksbegehren legen unser Augenmerk auf das Klimaschutzgesetz. Wir werden darauf schauen, dass es so schnell wie möglich und so ambitioniert wie möglich vorliegen wird. Es darf nicht sein, dass wir ein zu spätes und zu laxes Klimaschutzgesetz bekommen, das nicht wirkt - wie schon das letzte Klimaschutzgesetz.

 

 

Mobilität: Von der Besitzwirtschaft zu einer Sharing Economy

 

Seit Oktober 2021 gibt es das österreichweite Klimaticket. Was muss im Verkehrsbereich noch passieren?

Man muss den öffentlichen Verkehr leistbarer und attraktiver machen. Das österreichweite Klimaticket ist ein wichtiger erster Schritt. Die Dreier-Stufe bezieht sich auf ganz Österreich. Aber so viele Leute pendeln nicht durch mehrere Bundesländer. Es wäre daher ein großer Hebel, in allen Bundesländern auch die Einser-Stufe einzuführen.

Wenn man nicht auf den öffentlichen Verkehr umsteigen kann, weil man vom nächsten Verkehrsmittel zu weit weg wohnt oder in einer Region lebt, wo nur sehr selten ein Bus fährt, wird es schwierig. Daher muss zusätzlich das Angebot ausgebaut werden. Für Gebiete, in denen es sich nicht auszahlt, eine Bahn- oder eine Buslinie zu betreiben, gibt es bereits Konzepte wie Rufbusse und Sammeltaxis. In Gegenden, in denen so wenige Menschen leben, dass sich auch diese Konzepte nicht lohnen, könnten sich mehrere Haushalte ein Auto teilen. Man kann Fahrgemeinschaften gründen und damit den Ressourcenverbrauch reduzieren. Wir müssen weg von der Besitzwirtschaft und hin zu einer Sharing Economy, also zu einer Wirtschaft, in der man mehr Dinge teilt und damit öfter nutzt.

 

In deinem Buch beschreibst du u. a. das Konzept „Mobilität als Service“. Was verstehst du darunter?

Das Konzept geht in Richtung Sharing Mobility. Ich glaube, dass es in Zukunft eine große Entwicklung dahin geben wird, dass Unternehmen zum Beispiel nicht mehr nur eine Sache anbieten - zum Beispiel die Wiener Linien ihr Verkehrsnetz mit U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen. Sie werden auch noch anbieten, dass man sich an bestimmten Stellen ein Lieferauto ausborgen kann, wenn man umzieht, oder ein Auto, das man für eine Einkaufsfahrt braucht, oder ein Rad. Das ganze Paket bekommt man vom Mobilitätsanbieter zu einem günstigen Preis, ähnlich einer Jahreskarte. Ich glaube, das wird ein ganz großer Sektor werden, der es den Menschen in Sachen Mobilität leichter machen wird. Dann kann ich mir denken, heute brauche ich kein Auto, weil ich ohne Sack und Pack unterwegs bin, und zu Fuß gehen oder mir ein Rad nehmen. Und wenn ich am nächsten Tag voll bepackt und mit zwei Kindern am Bahnhof bin, kann ich mir dort ein Auto ausborgen. Ich meine also ein Umdenken in die Richtung, dass ich nicht mehr alles besitzen muss, was ich verwende. Zumindest in den Städten überlegen sich viele junge Menschen, ob sie überhaupt einen Führerschein machen sollen oder nicht. Und ob sie ein Auto besitzen wollen. Hat man ein Auto, muss man sich ums Pickerl, ums Service, um Reparaturen etc. kümmern. Ein Auto bedeutet ja auch eine große Verantwortung. Wenn man Mobilität als Service anbietet, nimmt man all diese Sorgen weg. Die Menschen nutzen das jeweilige Verkehrsmittel, wenn sie es brauchen, um alles andere kümmert sich das jeweilige Unternehmen. Am Land ist dieses Konzept wahrscheinlich weniger gut umzusetzen als in einer Stadt. Aber auch hier gibt es in ganz Österreich bereits spannende Konzepte im Bereich Mobilität: Die Gemeinde Stanz im Mürztal etwa bietet ein Mitnahmeservice von verschiedenen Plätzen im Dorf sowie ein E-Mobiltaxi, das von Einwohnerinnen und Einwohnern betrieben wird.

 

Aber das gibt es leider nicht überall. Was kann man in einer Gemeinde tun, damit sich etwas in die von dir genannte Richtung entwickeln kann?

Es wäre wichtig, dass die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten und sie fragen, was nötig wäre. Ab wann steigst du um? Was brauchst du? In der Früh müssen die Kinder dahin, ich muss dann dorthin, und am Abend muss man auch noch wohin. Daraus könnte man ableiten, wie das Service ausschauen müsste, damit auch wirklich umgestiegen wird.

 

Wie sieht das Reisen in Zukunft aus?

Für Reiseziele, die über den Landweg erreichbar sind, wird es Zug- oder Busverbindungen geben. Nur für absolut notwendige Reisen wird man mittelfristig Flugzeuge nutzen. Die dadurch entstehenden Umweltschäden müssten aber voll in den Ticketpreis eingerechnet werden. Billige Flugtrips übers Wochenende darf es nicht mehr geben.

 

Soll man für Flüge Ausgleichszahlungen leisten?

Die Reduktion von Flügen ist das Beste, was man als Individuum tun kann. Nicht zu fliegen ist immer besser, als zu fliegen. Wenn man bei Fluggesellschaften Kompensationszahlungen leistet, fließt das Geld oft ins allgemeine Budget des jeweiligen Unternehmens und wird nicht zur CO2-Einsparung verwendet. Dazu gibt es einige Studien. Es gibt ein paar Stellen, denen ich mehr vertraue: Die BOKU Wien hat zum Beispiel Kompensationsprojekte, bei denen das Geld in die Forschung und Entwicklung von Klimaschutzprojekten fließt.

Insgesamt stehe ich Kompensationszahlungen eher kritisch gegenüber, weil sie unter dem Gesichtspunkt „Ich kompensiere ja eh, dann darf ich fliegen, dann darf ich ein reines Gewissen haben“ verkauft werden. Will man wirklich eine klimaschützende Wirkung erzielen, muss man aufhören zu fliegen oder das Fliegen stark einschränken.

 

 

Bodenversiegelung stoppen, Flächen entsiegeln, Bestände nutzen

 

An die 13 Hektar Land werden in Österreich täglich mit Häusern, Straßen, Parkplätzen etc. verbaut, Zielvorgabe der EU wären 2,5 Hektar pro Tag. Das heimische Straßennetz ist mit 15 Metern pro Kopf eines der dichtesten in Europa. Die Wissenschaft ist sich einig: Der Bodenverbrauch muss sinken, auch aus Klimawandelgründen; denn nur im Boden und im Wald kann an Land CO2 gespeichert werden. Wie könnte die enorme Bodenversiegelung - auch in den Alpen - gestoppt werden?

Theoretisch ist das gar nicht so schwierig. Man kann eine Obergrenze der Versiegelung oder gleich eine Nullversiegelungspolitik einführen, die vorsieht, dass man, wenn man Boden versiegelt - und das muss begründet sein -, an einer anderen Stelle im selben Flächenausmaß oder mehr entsiegeln muss. Das halte ich für ein sehr gutes Konzept, weil es extrem viele versiegelte Flächen gibt, die nicht mehr genutzt werden. Wir müssen also mehr in die Richtung denken, wo wir Flächen wieder nutzbar machen können. Wo können wir Naturräume zurückgewinnen? Wie können wir zum Beispiel Flüsse, die in Betonbecken fließen, renaturieren? Renaturierungen würden zu sehr viel mehr Lebensqualität führen. Die Flächenversiegelung bedingt nämlich ganz viele weitere Probleme. Es geht ja nicht bloß darum, dass man eine Fläche zumacht und der Boden nicht mehr atmen kann, alles darunter abstirbt, sondern auch um das Problem, dass es sich zumeist um Straßen handelt, die irgendwo hinführen, wo man beispielsweise Wohnhäuser baut, also wiederum Boden versiegelt. Am Land sind viele auf das Auto angewiesen, weil der Stadt- oder Ortskern nicht mehr belebt ist, man dort keine regionalen Geschäfte mehr vorfindet, weil man die Supermärkte an den Ortsrand gepflanzt hat, wo man nur mit dem Auto hinkommt. Lauter raumplanerische Desaster!

Man muss die Raumplanung revolutionieren, indem man etwa monetäre Anreize schafft, Bestand wieder zu nutzen, anstatt neu zu bauen. Es ist zurzeit immer leichter, etwas auf die grüne Wiese zu bauen, als Bestand neu zu nutzen und zu renovieren. Man sollte auch Anreize schaffen, lokale Geschäfte in den Ortskern zu holen, anstatt Supermärkte und Einkaufszentren irgendwo auf die grüne Wiese zu stellen. Zusätzlich sollte man auch Anreize schaffen, in die Höhe zu bauen, statt in die Fläche. In Industriegebieten und bei Einkaufszentren an den Ortsrändern haben die Gebäude meist höchstens ein, zwei Stockwerke und verbrauchen extrem viel Fläche. Und man müsste sich überlegen, wo es überhaupt Sinn macht, weiter zu erschließen. Wichtig wäre es, vom Zubetonieren wegzukommen. Viele Wege könnten beispielsweise so angelegt werden, dass auf ihnen Wasser versickern kann.

 

Das Problem mit der Versiegelung ist ja schon seit vielen Jahren ein Thema. Aber in vielen Gemeinden und Ländern kommt es anscheinend nicht an. So manche Bürgermeisterin und mancher Bürgermeister weiß nichts über dieses Thema. Da werden wie wild Siedlungen gebaut. Gibt es auf politischer Ebene schon konkrete Gegenmaßnahmen?

Leider nicht! Die Widmungskompetenz, also das, was mit einem bestimmten Grundstück passiert, liegt bei den Ländern und Gemeinden. Da können Bürgermeisterinnen und Bürgermeister relativ frei verfügen, welche Flächen man umwidmet. Und ich verstehe das Bestreben, die eigene Gemeinde wiederbeleben und Unternehmen anlocken zu wollen. Wichtig wäre eine Bundesraumplanungskompetenz. Aber über diese Idee regen sich alle auf, weil man dann vor Ort schwieriger planen kann. Aber man könnte zum Beispiel ein Zusammenspiel zwischen Gemeindeebene und Landesumweltbeauftragten einführen. Dadurch hätte man ein gewisses Regulativ, um zu schauen, wo entwickelt man bestimmte Bauvorhaben und wo kann man dafür Stellen entsiegeln und der Natur zurückgeben. Am sinnvollsten wäre natürlich ein Bundesgesetz mit einer Nullflächenversiegelungsrichtlinie, die auf Länderebene umzusetzen ist.

 

Die Bodenversiegelung hat auch massive Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Stichwort Zerschneidung der Landschaften. Warum muss man die Biodiversitätskrise gemeinsam mit der Klimakrise angehen?

Ein großer Treiber der weltweiten Biodiversitätskrise ist noch immer die Flächenumwandlung, also Bodenversiegelung, Habitatzerschneidung in Form von Straßen und Umwandlung von Waldflächen in Forste, Umwandlung von Forsten in Agrarland, Umwandlung von Agrarland in Bauland. All diese Flächenumwandlungen haben extreme Auswirkungen auf die Biodiversität.

Ein weiterer Treiber ist die Klimakrise, das sieht man besonders gut im Alpenraum. Gerade in den Alpen wandern mit steigenden Temperaturen die Vegetationszonen nach oben, wodurch sich die Lebensräume ständig verschieben. Und irgendwann können Pflanzen und Tiere nicht mehr weiter nach oben wandern, denn irgendwo ist der Gipfel. Es kommt daher lokal zu Aussterbeereignissen - entweder, weil der Gipfel erreicht ist oder weil Pflanzen nicht schnell genug wandern können. Die Klimakrise erhöht also den Druck auf die Ökosysteme. Die Biodiversitätskrise ist mit der Klimakrise eng verknüpft. Sie beeinflussen beide unsere Lebensgrundlagen. Wir brauchen ja Nahrung. Extremwetterereignisse wie Hagel und Dürre vernichten aber immer öfter die Ernten. Die Biodiversitätskrise äußert sich andererseits im massiven Insektensterben. Viele unserer Lebensmittel sind wiederum davon abhängig, dass sie durch Insekten bestäubt werden. Ein anderes Beispiel: Fichtenforste leiden unter der Klimaerwärmung; dank Borkenkäferbefall sterben ganze Fichtenwälder. In artenreichen Mischwäldern können sich der Borkenkäfer und andere Schädlinge nicht so gut ausbreiten.

 

 

Die Politik in die Verantwortung nehmen!

 

Nur hundert Kohle-, Öl- und Gaskonzerne sind für 71 (!) Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Dennoch wird seit Jahrzehnten propagiert, dass jede(r) von uns die Macht hätte, die Menschheit schon allein beim täglichen Einkaufen zu retten, wie du es in deinem Buch formulierst. Was können private Haushalte tatsächlich tun?

Man kann ausrechnen, wie viel Fläche man für seinen jetzigen Konsum braucht. Nur dadurch, dass ich in Österreich lebe, habe ich schon einen grauen Fußabdruck von 1,5 Hektar. 1,6 Hektar sind das verträgliche Maß. Wir starten also schon fast an der Grenze, die wir nicht überschreiten sollten. Da haben wir aber noch nicht einmal geatmet, sind noch nicht zur Arbeit gefahren, haben noch nichts konsumiert, usw. Alles, was darüber hinausgeht, können wir bis zu einem gewissen Grad beeinflussen, oft aber selbst das nicht. Wo es keine Öffis gibt, kann man auch nicht auf Öffis umsteigen, nicht jede(r) kann sich klimafreundliche Produkte leisten.

Es gibt drei Faustregeln, die dennoch etwas bewegen können. Die erste ist, Häuser zu dämmen und anders zu heizen, erneuerbare Energie zu beziehen. Das ist der größte Hebel, den wir haben - falls uns die Möglichkeit offensteht. Ich wohne in einem Mehrparteienhaus in Wien, ich kann mein Heizsystem nicht so einfach umstellen. Der zweite Hebel ist, nicht zu fliegen, weil beim Fliegen extrem viele Treibhausgase ausgestoßen werden. Die dritte Faustregel: weniger oder kein Fleisch essen. Pflanzliche Produkte sind quasi immer weniger CO2-intensiv. Diese drei Faustregeln sind große Hebel in unserem individuellen Leben.

Der graue Fußabdruck zeigt aber, dass wir schon sehr viel institutionalisiertes CO2 haben, wofür wir nicht verantwortlich sind. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Schritt ins Politische tun. Ich als Individuum entscheide nicht, wohin Busse und Züge fahren, ich als Individuum entscheide nicht, wie lange noch Öl, Kohle und Gas nach Österreich importiert werden, das entscheidet die Politik. Wir müssen uns daher zusammenschließen und einfordern, dass Veränderung auf politischer Ebene passiert. Mit Gesetzen kann man den Rahmen so ändern, dass alle sich für klimafreundliche Lösungen entscheiden können. Individuelle Entscheidungen zu treffen ist wichtig, um den persönlichen Fußabdruck zu reduzieren, aber diesen großen Brocken, auf den wir individuell kaum oder gar keinen Einfluss haben, muss die Politik angehen. Daher müssen wir die Politik in die Verantwortung nehmen.

 

 

Nach dem Erscheinen des aktuellen IPPC-Berichts im August 2021 hat die Klimaforscherin Univ.-Prof.in Dr.in Helga Kromp-Kolb in einem Standard-Interview Folgendes gesagt: „Um die beim Pariser Abkommen herausgestrichene 1,5-Grad-Grenze wahrscheinlich einhalten zu können, beträgt das verbleibende globale Treibhausgasbudget 400 Gigatonnen CO2. Für Österreich bedeutet das etwa 400 Megatonnen CO2. Bei den derzeitigen Emissionen wäre das österreichische Budget in etwa fünf Jahren aufgebraucht.“

Es muss sich daher jetzt extrem schnell etwas ändern. In den nächsten drei Jahren muss eine Kehrtwende passieren. Sonst geht sich das nicht mehr aus. Wenn wir jetzt nicht reduzieren, haben wir nur noch fünf Jahre Zeit, und dann ist das CO2-Budget aufgebraucht. Dann bräuchten wir einen kompletten Lockdown fürs Klima. Das will aber sicher niemand. Unsere Aufgabe ist es daher, jetzt zu gestalten. Wissenschaftlich ist es möglich, die nötigen Treibhausgasemissionen rechtzeitig zu reduzieren. Die Frage ist: Ist es politisch gewollt, und können die politischen Kräfte das durchsetzen? Da habe ich insofern extrem viel Vertrauen, als die Klimabewegung gezeigt hat, was in zwei, drei Jahren möglich ist. Wir haben es geschafft, das Klimathema von einem kleinen zu einem großen Thema zu machen, und ich glaube, wir werden es auch schaffen, vom Reden ins Tun zu kommen. Das ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe, die Herausforderung einer Klimawende auf den Boden zu bringen. Klimaexperte Reinhard Steurer von der Universität für Bodenkultur Wien hat gemeinsam mit Sarah Nash im Rahmen einer Studie herausgefunden, dass die Politisierung – also die Kraft der Klimabewegung – mehr Einfluss auf deutlich bessere Klimaschutzgesetze etwa in Schottland und Dänemark hatte als andere Faktoren wie die Zusammensetzung der Regierungen. Diese Erkenntnis motiviert mich sehr, weil sie zeigt: Die Menschen, die mutig aufstehen und Veränderung einfordern, machen einen Unterschied! Die Politik ist insgesamt eher reaktiv, was schade ist, ich würde sie mir visionärer und vorwärtsgerichteter wünschen. Aber wenn wir es schaffen, den Druck weiter aufzubauen und aufrecht zu erhalten, wird sich auch etwas ändern - hoffentlich schnell genug. Aber das liegt jetzt an uns allen!

 

Was können Kinder und Jugendliche für die Klimabewegung tun?

Sehr viel! Die Klimabewegung wird von jungen Menschen getragen. Greta Thunberg war erst 15, als sie im August 2018 begann, vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm in Form eines Schulstreiks für das Klima zu protestieren. Was sie damit ausgelöst hat, ist unglaublich.

Was man tagtäglich machen kann: mit den Eltern am Frühstückstisch reden, in der Schule darüber sprechen, Referate machen, ein Forum in der Schule gründen, in dem man diskutiert, was man in der Schule besser machen könnte. Man könnte anregen, den Lehrplan umzustellen, damit man in jedem Fach etwas über die Klimakrise lernt, oder eigene Projekte auf die Beine stellen. Gerade bei Fridays for Future habe ich viele coole junge Leute kennengelernt, die organisieren können, was das Zeug hält. Die stellen einfach von heute auf morgen eine Bühne auf, bedienen sich der sozialen Medien, machen Werbung für Streiks, schreiben Reden, die sie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern checken lassen. Kinder und Jugendliche können im eigenen Umfeld viel bewegen. Sie können einfach überlegen, was ihnen Spaß macht, und das dann für den Klimaschutz tun. Fotos machen, recherchieren, in den sozialen Medien unterwegs sein, Briefe mit Klimaschutzforderungen an Politikerinnen und Politiker schreiben, etc. ‒ und das für den Kampf für unsere Zukunft einsetzen. Sie können sich auch in Jugendnetzwerke diverser NGOs - etwa bei der Naturfreundejugend - einbringen und/oder sich beim Klimavolksbegehren oder Fridays for Future engagieren. Aber auch die Eltern können sich in ihrem Umfeld einsetzen, sie können etwa zu ihrem Chef gehen und fragen, was das Unternehmen in Sachen Klimaschutz vorhat oder in der Gemeinde bzw. im Bezirk aktiv werden.

 

 

Die Energiewende ohne Atomkraft und mit geeigneten Speichertechnologien meistern

 

Den Naturfreunden ist es wichtig, dass keine Atomkraft genutzt wird. Ist zu befürchten, dass viele Länder jetzt einen Ausbau der Atomenergie forcieren, um den Klimawandel zu stoppen?

Die Befürchtung habe ich nicht, gerade wenn es um neue Atomkraftwerke geht. Neue Atomkraftwerke sind nicht wirtschaftlich, sind teuer, brauchen 10 bis 15 Jahre Bauzeit. Wir haben gerade darüber geredet, dass wir nur mehr fünf Jahre Zeit haben. Das geht sich also schon zeitlich und wirtschaftlich nicht aus. Das ist das Gute. Die Frage ist nur, wie machen es die Länder, die derzeit Atomkraft nutzen und gleichzeitig aus Kohle und aus der Atomkraft aussteigen müssen. Das wird schwieriger zu bewerkstelligen sein. Sie müssen massiv erneuerbare Energiequellen ausbauen und gleichzeitig ‒ das ist eine wichtige Komponente, die man bei all diesen Fragen mitdenken muss ‒ auch den Energieverbrauch reduzieren. Das ist der Knackpunkt. Studien zufolge könnte man bei gleichbleibender Wirtschaftsleistung bis zu 40 Prozent der Energie einsparen. Rund 40 Prozent der erzeugten Energie gehen derzeit verloren. Wenn wir diese Einsparung schaffen, wäre es möglich, ganz ohne Atomkraft, ganz ohne fossile Energieträger - natürlich mit einem großen Erneuerbaren-Ausbau - diese Transformation schnell zu bewerkstelligen.

 

Es heißt oft, dass bei erneuerbaren Energien das Stromnetz instabil ist und die Gefahr eines Blackouts steigt. Stimmt das?

Dass die Gefahr steigt, würde ich nicht sagen. In den USA sind etwa im vergangenen Rekordwinter Gasleitungen zugefroren, und dann gab es ein Blackout. Die Gefahren eines Stromausfalls sind bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen nicht größer, aber vorhanden. Mit Wind und Sonne kann man nur Energie gewinnen, wenn Wind bläst oder die Sonne scheint. Man braucht daher Energiespeicher, mit denen man die Überschussenergie speichert, die es zu manchen Zeitpunkten gibt. Der Großteil der benötigten Energie ist übers Jahr gedeckt. Die Frage ist, wie man die fehlenden Prozent gerade im Winter erreicht. Im Sommer ist es nicht so schwierig, weil meist Wind geht und/oder die Sonne scheint. Speicher für einige Tage oder Wochen kann man relativ einfach schaffen. Aber wie speichert man die Energie des Sommers für den Verbrauch im Winter? Wasserstoff wird hier eine Rolle spielen. Wenn man beispielsweise mit der überschüssigen Energie Wasserstoff produziert, kann man diesen bis zum Winter speichern und dann aus Wasserstoff wieder Strom machen. Aber auch andere Speichertechnologien werden zum Einsatz kommen. Es kommt also darauf an, dass wir genügend Speichertechnologien für Zeiten haben, in denen es schwieriger ist, mit Wind- und Sonnenenergie den Strombedarf zu decken. Zusätzlich wird es auch Energiehandel zwischen Ländern geben: Die südlicheren Länder Europas werden im Winter mehr Energie in den Norden liefern, oder man speist mehr Offshore-Energie in unser Netz ein.

 

 

Bevölkerungswachstum: Ressourcen effizienter nutzen

 

Nach aktuellen Schätzungen leben auf der Erde rund 7,8 Milliarden Menschen. Nach einer Prognose der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 auf rund elf Milliarden Menschen anwachsen. Welchen Einfluss hat die wachsende Weltbevölkerung auf die Klimaerwärmung?

Das ist ein komplexes Thema. Von vielen wird das Argument gebracht, die Menschen im globalen Süden sollen weniger Kinder kriegen, man könne nicht so viele Menschen auf unserem Planeten haben. Richtig wäre: Wir können nicht so viele Menschen auf dem Planeten haben, die so wie wir in den Industrieländern leben. Wenn alle so lebten wie wir, hätten wir tatsächlich ein Problem. Denn wir leben über unsere Verhältnisse. Der erste Schritt muss also sein, den Treibhausgasausstoß in den Industrieländern zu reduzieren. Wenn wir es schaffen, eine Welt, eine Gesellschaft, eine Politik, eine Wirtschaft aufzubauen, die Kreisläufe schließt und klimaneutral ist, haben wir auch mehr Ressourcen für mehr Menschen. Prognosen sagen, dass sich die Weltbevölkerung bei 11 Milliarden stabilisieren wird. Man kann diesen Trend beschleunigen, indem in den Schwellenländern und sogenannten Entwicklungsländern Bildung, ein gutes soziales Fundament sowie mehr Mitbestimmung und Selbstbestimmung für Frauen forciert werden. Ein gutes soziales Fundament führt immer zu einer geringeren Geburtenzahl.

Man müsste auch alle Ressourcen wesentlich effizienter nutzen. Die Ernährung von 11 Milliarden Menschen beispielsweise wäre möglich, wenn die weltweite Lebensmittelverschwendung gestoppt wird. 40 Prozent der Lebensmittel landen derzeit auf dem Müll, und zwar in allen Ländern. Wenn Lebensmittel besser verteilt werden und weniger Fleisch gegessen wird, würden mehr Flächenressourcen zur Verfügung stehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, pro Woche nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleischwaren zu essen. Man muss sich also nicht vegan ernähren, es wäre schon wirkungsvoll, unseren Überkonsum einfach einmal zu mäßigen.

 

Katharina, am Ende des Gesprächs noch eine persönliche Frage: Welche Idole hast du?

Besonders interessieren mich coole, starke politische Frauen. Jacinda Ardern, seit 2017 Premierministerin von Neuseeland, finde ich großartig, sie macht eine super Arbeit. Sie hat Kinder und tritt dafür ein, Arbeit und Familienleben miteinander vereinbaren zu können. Ich finde, es braucht mehr starke, junge Frauen in der Politik. Als Frau kann man sich mit ihnen identifizieren und sehen, dass man nicht verhärtet und ein Mann sein muss, wenn man politisch aktiv sein möchte. Auch die jungen Frauen der Fridays-for-Future-Bewegung, natürlich Greta Thunberg, aber auch Luisa Neubauer in Deutschland, sind unglaublich versiert und bewundernswert. In meiner wissenschaftlichen Karriere war für mich beispielsweise Jane Goodall ein Vorbild. Ich habe ja selbst Zoologie studiert. Mich hat begeistert, dass sie nicht nur viel in der Natur unterwegs war, sondern auch darüber redet und die Themen, die ihr wichtig sind, auch in die Politik trägt und sagt, he, wir brauchen Naturschutz, wir müssen das Juwel Erde erhalten!

 

Abschließend möchte ich sagen, dass es nicht nur wichtig ist, Emissionen zu reduzieren, weil wir der Klimakrise entgegenwirken wollen, sondern weil wir dadurch auch eine bessere Welt schaffen können. Wenn uns die Klimawende gelingt, ist die Welt sauberer und gesünder. Wir haben bessere Luft, wir haben belebte Orts- und Stadtzentren, wir können klimafreundlich von A nach B kommen, und alle können es sich leisten, klimafreundlich zu leben. Wir produzieren die von uns benötigte Energie vor Ort, was auch geopolitisch enorme Vorteile hat, haben doch viele Konflikte mit Ressourcenknappheit zu tun. Wenn wir energiepolitisch unabhängig sind, hat das nicht nur für das Klima Vorteile, sondern bedeutet auch eine friedlichere Welt.

Porträt Katharina Rogenhofer

Katharina Rogenhofer, geboren 1994 in Wien, studierte Zoologie an der Universität Wien sowie Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement in Oxford. 2018 holte sie mit weiteren Aktivistinnen
und Aktivisten die Fridays-for-Future-Bewegung nach Österreich,
2019 übernahm sie die Leitung des Klimavolksbegehrens.
Das österreichische Klimavolksbegehren, das vom 22. bis 29. Juni 2020 auflag, wurde von 380.590 Menschen unterschrieben. Es fordert die Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung sowie den Klimaschutz unterstützende Gesetze, um damit die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden. Diese unabhängige und überparteiliche Klimaschutzinitiative möchte alle Menschen in Österreich vertreten, die für einen mutigen Klimaschutz sind. Sie versteht  Klimaschutz nicht als Verantwortung einzelner Personen, sondern der gesamten Gesellschaft. Die Politik müsse daher die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, die allen eine lebenswerte und faire Zukunft sichern. Die Naturfreunde unterstützen das Klimavolksbegehren seit Anbeginn und tragen die Forderungen sowie Ziele des
Klimavolksbegehrens mit.


Weitere Infos: klimavolksbegehren.at

Demonstration junger Mensch
Junge Menschen demonstrieren für Änderungen, um den Klimawandel zu stoppen
Buchtipp:

Ändert sich nichts, ändert sich alles!

Warum wir jetzt für unseren Planeten kämpfen müssen

 

von Katharina Rogenhofer und Florian Schlederer

Paperback, 288 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2021, 20,95 €


In diesem sehr persönlich geschriebenen Buch finden sich sowohl viele Fakten über die Klimakrise als auch „eine mutige Vision zwischen zwei Fachbuchdeckeln“. Die große Frage: In welcher Zukunft wollen wir leben?