Über das Thema „Kinder am Berg“ ist schon viel geschrieben worden. Wahrscheinlich sogar zu viel, schließlich hat sich die rund um unseren Nachwuchs bestens florierende Verunsicherungsindustrie längst auch dieses Thema unter den Nagel gerissen. Wenn man sich ein bisschen umhört, hat man den Eindruck, als wäre jeder zweite Erwachsene durch die in der Kindheit erlittenen Wandererlebnisse so schwer traumatisiert, dass er schon beim bloßen Anblick einer Legföhre oder eines roten Karo-Musters eine ausgewachsene Panikattacke bekommt. Als Ausgleich dazu ist die andere Hälfte vom Gelatsche durch die Botanik so euphorisiert, dass sie schon die nächste Generation mit wöchentlichen Gewaltmärschen durch dichten Tann zuschanden hetzt. Ein Dilemma.
Kein Wunder, dass in gewissen Kreisen die ganz banale Wochenend-Wanderung zu einem innerfamiliären Minenfeld hochstilisiert wurde, das ohne maßgeschneidertes Angebot fast unüberwindbar erscheint. Wie gut, dass es dafür einschlägige Ratgeberliteratur (Mein Favorit: „Wandern mit gehfaulen Kindern: 49 Südtiroler Kinderwanderungen mit Pfiff“), die immer um unser Wohl besorgte Ausrüstungsbranche (Wie wär’s mit der „Kid’s Expedition Hardshell Jacket“ in Größe 134 um 384,90 Euro?) und die neuesten Trends aus den Giftküchen der Tourismusverbände (Faustregel: Auf einem „Kinder-Erlebnis-Pfad“ findet man mit etwas Glück einen Pfad, manchmal auch Kinder, aber sicher nie ein Erlebnis.) gibt.
Dabei könnte alles so einfach sein. Zum Beispiel, indem man zur Abwechslung mal jene diskriminierte Randgruppe unserer Gesellschaft zu Wort kommen lässt, die ganz unmittelbar vom „Wandern“ betroffen ist, sich aber noch nicht richtig dagegen wehren kann: unsere Kinder! Meine Kinder etwa. Mit ihnen habe ich nämlich ein ausführliches Interview geführt, um den drängendsten Problemen und Missverständnissen rund ums Wandern auf die Spur zu kommen. Herausgekommen sind folgende zehn „Weisheiten“ zum Thema von zwei Jungs, die trotz ihres zarten Alters bereits auf eine lange und wechselvolle Karriere im Business zurückblicken können.
Wandern heißt immer, dass man irgendwo ohne Ziel dahinschlurft. Im schlimmsten Fall sogar auf einer Forststraße. Kinder wollen auf einen Berg, einen Gipfel, etwas erreichen, auf das sie stolz sein können. Wegen ein bisschen frischer Luft und Vogelgezwitscher schinden wir uns sicher nicht freiwillig. Aber wenn wir „bergsteigen“ gehen, ist das anders: Da gibt es ein Ziel, einen Plan, viel Jause und je nach Gipfel vorher ein bisschen Kribbeln im Bauch. Und als Belohnung: dass man es geschafft hat. Und dass man von hoch oben runterschauen kann.
Eltern haben immer Angst davor, uns zu überfordern. Und erst die Großeltern! Dabei hat es uns eigentlich noch nie geschadet, wenn wir nach einer Tour fix und fertig waren. Ganz im Gegenteil: An diese „großen“ Touren erinnern wir uns am liebsten. Immer wenn’s richtig anstrengend war, kann man danach auf seine Leistung stolz sein. Oder an Sachen, bei denen die Großeltern die Stirn gerunzelt und gefragt haben, ob wir das auch schaffen. Und ob das überhaupt gescheit ist. Das, was nicht gescheit ist und trotzdem irgendwie funktioniert, ist nachträglich sowieso immer das Beste.
Wenn’s hart auf hart kommt, ist es uns immer wichtiger, Kreuzottern zu beobachten, Steine zu suchen und vor allem „Bacherl“ zu spielen, als irgendwo stur dahinzuhatschen. Für solche Sachen sollte sowieso immer Zeit sein. Außer wir müssen unbedingt wo rauf (siehe oben). Aber da kann man ja später am Rückweg trödeln.
Kein Kind möchte das ganze Jahr hindurch das Gleiche machen: Wozu gibt’s Jahreszeiten? Im Herbst könnte man bergsteigen und Steine suchen, im Winter Schitouren machen, im Frühling firngleiten und im Sommer vielleicht eine kleine Zelt-Tour mit Übernachtung unternehmen … außer es ist zu heiß, dann ist es sowieso besser, baden als auf einen Berg zu gehen.
Kein Kind möchte jedes Wochenende ausrücken, egal, wie gerne es draußen ist. Eltern können sich das vielleicht nicht vorstellen: Aber wir haben echt auch andere Sachen zu tun. Bessere Sachen. Zum Beispiel auch mal gar nichts! Außerdem: Wenn wir jedes Wochenende irgendwo raufgingen, wäre es bald nichts Besonderes mehr. Und etwas Besonderes sollte es ja sein. Oder?
Immer wenn es brenzlig wird, ist es zwar in diesem Moment nicht so schön, dafür aber umso mehr, wenn man zurück beim Auto ist, oder noch besser, wenn man später anderen davon erzählt. Das kann eine ausgesetzte Kletterpassage sein oder ein plötzlicher Graupelschauer am Gipfel; oder wenn wir uns verirren, weil Papa wieder einmal eine „Abkürzung“ kennt, bei der wir dann irgendwann im Dunkeln in den Latschen stehen und die Stirnlampen brauchen. Ein Unfall oder ein richtiges Gewitter am Berg ist aber nicht so toll. Auf die Sicherheit sollten die Eltern schon schauen. Ein echtes Abenteuer ist es jedenfalls nur dann, wenn etwas anders läuft, als man es geplant hat. Deshalb kann etwas, das man als Abenteuer geplant hat, auch nie ein echtes sein.
Uns ist es lieber, ihr sagt uns, dass es noch eine halbe Stunde dauert, und es dauert dann 10 Minuten, als umgekehrt. Außerdem: Wir gehen dorthin, wohin wir es vorher zusammen ausgemacht haben. Wenn ihr weiter gehen wollt oder ganz woanders hin, müsst ihr mit uns darüber reden. Man kann ja mit uns reden. Wenn wir dennoch nicht wollen, habt ihr eben Pech gehabt.
Was ihr nie verstehen werdet: Ihr könnt gar nicht so viel Jause mitnehmen, dass wir genug haben. Gute Jause zumindest, nicht irgendwelche Bio-Dings, von denen ihr glaubt, dass sie für unsere Entwicklung wichtig sind! Oder haben wir in den letzten zehn Jahren schon einmal auch nur einen Krümel hinuntergetragen? Eben. Und nein, wir finden es nicht schlimm, wenn wir euch die letzten Müsliriegel wegfuttern, nur weil ihr wieder mal „gewichtsoptimiert“ gepackt habt.
Wir können uns echt nicht vorstellen, dass jedes Kind so gerne auf Berge steigt wie wir. Es steigt ja nicht einmal jeder Erwachsene so gern auf Berge. Von unseren Freunden gibt es eigentlich nur wenige, die das so gerne wie wir machen. Und ganz ehrlich, bei vielen ist es wohl besser, wenn sie nicht allzu oft zu so etwas genötigt werden – es gibt sonst jedes Mal ein Drama.
Text: Ulf Edlinger
Meine Kinder empfehlen folgende Gipfel in ihrer engeren Heimat (Seckauer Tauern, Steiermark):
Für Zwerge: Rosenkogel (1918 m) zwischen St. Oswald und Gaal
Zitate: „Da kommen sogar die ganz Schwachen rauf!“ … „Der geht immer!“
Vom Ausgangspunkt am Sommertörl weg wirklich nur ein Katzensprung, dafür mit Gipfelkreuz und allem, was dazugehört und Kindern Freude macht.
Für VolksschülerInnen: Ringkogel (2277 m) in der Gaal
Zitat: „Es ist schon ein ziemlicher Hatscher, dafür findet man dort oben die schönsten Bergkristalle!“
Vom Parkplatz beim Gehöft Gaalreiter aus ist der Gipfel in ca. 3 Stunden zu erreichen. Vorteil: Am flachen Rücken können Kinder sich frei bewegen und nirgendwo runterfallen.
Für U13: Geierhaupt (2417 m) im hinteren Ingeringgraben
Zitate: „Das ist der höchste bei uns in der Gegend!“ … „Das ist schon eine richtige Tour!“
Vom Ingeringsee ist der Gipfel über den neu markierten Saurücken in etwa 3-4 Stunden zu erreichen; abwechslungsreiche, technisch nicht schwierige, aber durchaus tagesfüllende Wanderung. Kurz vor Erreichen des Rückens für ca. 100 Meter Absturzgelände - beim Abstieg eventuell unangenehm.